Theorie und Praxis einer digitalisierten Tyrannei der Intimität oder wie das Private ins Öffentliche einzieht

THEMATIK

Spiegelt sich der Einzug des Privaten ins Öffentliche in gesellschaftlichen Teilbereichen auch digital ab? Zeigen sich Tendenzen einer Tyrannei der Intimität auch als Wechselspiel zwischen analog und digital?

Basierend auf diesen Leitfragen und in Anlehnung an Richard Sennetts titulierten Verfall der Öffentlichkeit von 1974 lässt sich heute nach dem Einfluss der digitalen Sphäre auf seine langessayistische Konzepttheorie fragen (Sennett 2008). Dabei eröffnet die Polarität von Öffentlichkeit und Privatheit einen „neuen Diskussionsraum“ über einen anzunehmenden Transformationsprozess (Bahrdt 1998; Lupton 2015) (Forschungsstand) .

Wir folgen dabei der Annahme Sennetts, dass die „Konditionen der Moderne“ einen Einzug des Intimen in die öffentliche Sphäre auch digital abbilden. Dieser These folgend würden sich diese neue Mechanismen in privaten Räumen spiegeln und gesellschaftliche Veränderungen analog und digital unterstützen. (Forschungsgegenstand).

METHODIK

Wie mache ich (meine, studentische) Wissenschaft sichtbar? Wie schaffen wir einen Dialog zwischen Wissenschaft und Kunst – Forschung und Öffentlichkeit im digitalen Raum? 

Unter dieser methodischen Leitfrage haben wir eigene Teil-Forschungsfragen und Projekte zur Thematik konzipiert und den Raum des studentischen Forschungstutoriums zur Umsetzung eigener Forschungsinteressen zur Thematik genutzt und digital mit Leben gefüllt. Dabei lag der Schwerpunkt in unserem Tutorium auf der Entwicklung eigener Forschungsfragen und -ansätze in Anlehnung an die erarbeiteten (interdisziplinären) Grundlagen.

Unser Ziel war es, unsere Forschungsergebnisse praktisch umzusetzen und in einen digitalen Raum zu tragen und hybrid zu diskutieren

ÜBER UNS

Wir sind zehn interdisziplinäre Bachelor- und Masterstudierende der Humboldt-Universität zu Berlin. Das digitale Sommersemester 2020 hat unsere thematischen Interessen, rund um digital-hybride Öffentlichkeit, (politische) Kommunikationsstrukturen und Kulturen im Forschungstutorium „Die Tyrannei der Intimität im Zeitalter der Digitalisierung. Vom öffentlich Sein und der Öffentlichkeit.” zusammengeführt. Diese neue Form des studentischen Lehrens, Studierens & Lernens hat unsere Projekte erweitert, uns mit anderen Augen die Thematik erleben lassen und zu spannenden Perspektivwechseln geführt. Wir spielen dabei mit der Metapher eines gläsernen Vorhangs, der als fließender Übergang zwischen analog und digital fungiert und ein weiteres Wechselspiel mit den Polen von Privatheit und Öffentlichkeit eröffnet. Dabei sind unter der Rahmung des Seminars vier exemplarische Projekte hervorgegangen, die innerhalb des Gesamtvorhabens hier ihre Ergebnisse präsentieren und für einen weiterführenden Dialog öffnen möchten: Welchen Einfluss hat die digitale Sphäre auf Sennetts Metapher einer Tyrannei der Intimität?


Entdecke Projekte

Schein und Sein in der Politik

Analyse des Auftretens des Bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder

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Tyrannei der Intimität

Eine filmische Darstellung

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Digitale Politische Kommunikation

Social-Media-Kanäle von Politiker*innen

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Digitalisierung von Kunst und Kultur

Ein Umzug in virtuelle Sphären?

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Projekthintergrund: Vom Forschungstutorium zur digital-kritischen Ausstellung

FORSCHUNGSGEGENSTAND

Das Subjekt steht sowohl in engem Bezug zur Raumkonzeption, der Atomisierung der Stadt sowie dem Bereich von Macht und Herrschaft als auch den Entscheidungen in der Politik. Dahingehend lässt sich nach dem Einfluss der digitalen Sphäre in den einzelnen Teilbereichen und nach der Relation zu den Sphären der Privatheit und Öffentlichkeit fragen. Es ist anzunehmen, dass sowohl der architektonische Raum und die strukturelle Konzeption von (Begegungs-) Räumen on- und offline als auch die Wahrnehmung von politischen Entscheidungen und Entscheidungsträgern mit dem Fortschritt der Technologie einen Wandel durchlaufen. In Folge bedarf es einer Untersuchung der gegenwärtigen politischen Öffentlichkeit und einer Reflexion über den Zustand der Subjekte, inwiefern ein Bewusstsein für eine gute politische Öffentlichkeit unter einer zunehmenden Digitalisierung und einer Kultur des öffentlich Seins beeinflusst ist und analog und digital wieder aktiviert werden muss.

Daran anknüpfend stellt unser thematischer Fokus das Wechselspiel von Öffentlichkeit und Privatheit im Zeitalter der Digitalisierung dar.

FORSCHUNGSSTAND

In Anlehnung an Richard Sennetts titulierten Verfall der Öffentlichkeit von 1974 lässt sich heute nach dem Einfluss der digitalen Sphäre auf seine langessayistische Konzepttheorie fragen (Sennett 2008). Dabei eröffnet die Polarität von Öffentlichkeit und Privatheit einen neuen Diskussionsraum über einen anzunehmenden Transformationsprozess der Sphären (Bahrdt 1998; Lupton 2015). In zeit- und gegenwartsdiagnostischen Analysen erleidet das Subjekt der flüchtigen Moderne eine zunehmende Entfremdung (Doering-Manteuffel/ Raphael 2008: 85ff). Es versucht eine verzweifelte Übernahme von (scheinbar) politischen Handlungen auch „lifepolitics“ genannt (Bauman 2017: 96). Darstellung und Repräsentation rücken in den Vordergrund und Personalisierungstendenzen werden sichtbar (Sennett 2008: 184ff; 410ff; 493ff). Dabei zieht die eigene Intimität on- wie offline immer mehr in das Öffentliche (ebd. 493ff). Parallel unterliegt auch die Stadt als realer Spielraum einer Atomisierung, das heißt sie verändert sich mit dem Bevölkerungswachstum und spiegelt diese im architektonischen Raum wider (Sennett 2008: 106f; 517f). Kennzeichen sind der zunehmende Wert von ad-hoc Funktionalität und Mobilität (Sennett 2008: 40; Augé 2010: 90ff). Es ist sowohl eine Geschichtslosigkeit in der gestalterischen Umsetzung als auch eine Nonfunktionalität in Form fehlender Entstehung neuer Begegnungsräume erkennbar (Sennett 2008: 511ff; Augé 2010: 90f). Das heißt, dass die analoge Stadtplanung und virtuelle Architektur mit der Gesellschaft, als auch die Subjekte mit dem öffentlichen Raum, als aktive Bühne gesellschaftlichen Lebens in den Dialog treten müssen und diese lebendig werden lassen (Sennett 2008: 145ff; 40ff). So können sich Bewusstsein und Partizipation, Elemente aus dem öffentlich haptischen wie virtuellen Raum verknüpfen und Hand in Hand eine neue (politische) Öffentlichkeit entstehen lassen.

DAS FORSCHUNGSTUTORIUM

Wir sind im Forschungstutorium “Die Tyrannei der Intimität im Zeitalter der Digitalisierung. Vom öffentlich Sein und der Öffentlichkeit.” im digitalen Sommersemester 2020 zusammen gekommen und haben unser thematisches Interesse gemeinsam vertieft. In Anlehnung an unsere übergeordnete Forschungsfrage: “Welchen Einfluss hat eine Kultur des öffentlichen Seins unter digitalen Bedingungen und wie steht es um das Bewusstsein über den Wert von Öffentlichkeit nach Sennett?” haben wir unseren Semesterplan konzipiert. Dabei   haben wir angenommen, dass das Verständnis und der Akt des Partizipierens veränderten Strukturen unterliegt. Mit der einleitenden Frage, was eine gute politische Öffentlichkeit im Zeitalter der Digitalisierung bedeutet, sind wir in Anlehnung an Richard Sennetts Konzept folgender konkreteren Forschungsfrage nachgegangen: Wie kann die Tyrannei der Intimität, der Einzug des Privaten ins Öffentliche (on- und offline) von der „guten politischen“ Öffentlichkeit abgegrenzt und fruchtbar für die Entstehung einer solchen gemacht werden? Dahingehend haben wir an verschiedenen Schnittstellen unsere konkreten Forschungsprojekte ausgerichtet.

Wie sah unser Semester aus?

Zuerst sind wir tiefer in die theoretischen Grundlagen eingetaucht und haben uns der Diskussion um Richard Sennetts titulierten Verfall der Öffentlichkeit von 1974 (Sennett 2008) gewidmet.

Dem folgend birgt der Aufstieg der individuellen Persönlichkeit einen Niedergang des öffentlichen Lebens. Der Wandel der Zeit, die Veränderung von Umwelt und Subjekt zeigen so Umbrüche in den Bereichen von Stadt und Begegnungsräumen, Macht und Herrschaft und führen zunehmend zu einer “verengten” Gesellschaft (Bild 1). Diese hier schematisch aufgezeichnete Theorie haben wir in unserer Diskussion in die Gegenwart geholt und die Prozesse und Effekte in der digitalen Sphäre diskutiert (Bild 2).

Inspiriert von der Theorie sind wir dann in einen methodischen Teil übergangen und haben uns gegenseitig unsere erlernten und favorisierten Methoden an die Hand gegeben, um einen Pool an Methoden zusammenzutragen und einen Austausch anzuregen. Diese Erweiterung hat Hand in Hand mit ersten thematischen Vertiefungswünschen unsere Zusammensetzung der Projektgruppen geprägt und zu einer interdisziplinären Zusammenarbeit und/ oder dem Ausprobieren neuer Methoden geführt.

Im letzten Block sind wir dann selbstständig in unsere Forschungswelten eingetreten. Das heißt, wir haben unser Forschungsdesign konkretisiert, unsere Forschungsfrage zugespitzt und haben erste Erhebungen durchgeführt. Dabei sind wir wöchentlich im Jour-Fixe zusammen gekommen und habe den Raum genutzt, unsere Fragen zu teilen, unsere Projekte vorzustellen und sowie neue Problematiken zu reflektieren. Dabei sind wir am Ende des Semesters an unserem Meilenstein “Wissenschaftskommunikation” angekommen! Eine digitale Ausstellung war das Ziel und so haben wir in den letzten Monaten der Semesterferien unsere Projekte in dieses Format übersetzt, Metaphoriken in Titel und Bild ausprobiert und diskutiert sowie fleißig an Social Media Beiträgen gesessen. 

UNSER ZIEL

Der Annahme folgend, dass der digitale Raum sowohl die private als auch die öffentliche Sphäre beeinflusst, möchten wir diesen in seinem Zusammenspiel näher betrachten und zur Diskussion stellen. Im Fokus unseres Seminars stand die Differenzierung zum passiven öffentlich Sein sowie die Übersetzung von Diskursen in einen aktiven öffentlichen Raum analog wie digital zu tragen. Dahingehend möchten wir mit euch die inhärente Kraft, Öffentlichkeit entstehen zu lassen, zu stärken und sichtbar zu machen nutzen und Euch einladen, mit uns in einen Dialog zu treten. Wir laden Euch herzlich ein, uns Rückmeldung zu gebe, freuen uns Eure Fragen zu diskutieren und möchten als finales Projekt mit den Ideen und Ergebnissen eine Pinnwand gestalten.

WIR

Unser Projekt ist von folgenden (methodisch-fachlichen) Studienrichtungen der Humboldt-Universität zu Berlin geprägt:

Bachelor:  Psychologie; Sozialwissenschaften

Master: Kunst und Bildgeschichte; Sozialwissenschaften

Tutorin und Projektleitung: Ann Katzinski

Kontakt: ann.katzinski@kunstform-wissenschaft.org 

Hinweis: Die Rechte und Verantwortung der einzelnen Forschungsprojekte und ihrer Projektseite liegen bei den Autor*innen des Projekts. Entsprechende Anfragen leite ich gerne weiter.


LITERATUR

Augé, Marc (2010): Nicht-Orte. München: C.H.Beck oHG.

Bauman, Zygmunt (2017): Das Vertraute Unvertraut machen. Ein Gespräch mit Peter Haffner. Hamburg: Hoffmann und Campe Verlag.

Bahrdt, Hans Paul (1998): Die moderne Großstadt – Soziologische Überlegungen zum Städtebau. Ulfert, Herlyn (Hrsg.). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. S. 81-130.

Doering-Manteuffel, Anselm; Raphael, Lutz (2008): Nach dem Boom. Perspektiven auf die Zeitgeschichte seit 1970. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG.

Lupton, Deborah (2015): Digital politics and citizen digital public engagement, in: Ders. (Hg.): Digital sociology. London/ New York: Routledge. S. 141-163.

Sennett, Richard (2008): Verfall und Ende des öffentlichen Lebens. Berlin: Berliner Taschenbuch Verlag.