In diesem Artikel soll der Frage nachgegangen werden, ob Social-Media-Kanäle von Politiker*innen den Einzug vormals privater, persönlich-intimer Inhalte in die politische Öffentlichkeit verstärken. Methodisch wird dabei auf Techniken der sozialwissenschaftlichen Bildinterpretation zurückgegriffen. Grundlage der Analyse sind dabei drei Fotobeiträge der Politiker*innen Salvini, Kipping und Weidel. Anschließend wird mit Rückbezug auf ausgewählte Theorien und Befunde versucht, die Ergebnisse entsprechend zu deuten. 

Autor: Karl Homuth

1. Einleitung und übergreifende Forschungsfrage – Worum geht es?

„Ein wichtiger Aspekt ist neben all den politischen Themen auch die persönliche Seite des Politikers, der Politiker als Mensch. Je persönlicher und authentischer eine Aussage ist, desto mehr Resonanz erfährt sie.“ (Otto 2015, S. 307)

Diese Aussage des FDP-Politikers Hans Joachim Otto (ehemalig MdB) regt zum Nachdenken an. Sie ist Teil eines kurzen Aufsatzes, in dem Otto seine subjektive Sicht bezüglich der Relevanz sozialer Medien für die politische Kommunikation erläutert. Es wird deutlich: Für ihn nehmen Social-Media nicht nur die Funktion der politischen Informationsweitergabe zwischen Politiker*in und Volk ein, sondern es geht ihm auch darum, sich persönlich zu öffnen, den Menschen durchscheinen zu lassen, als authentisch wahrgenommen zu werden. Doch warum muss das überhaupt sein?

Reicht es nicht aus, als Politiker*in bestimmte Themen und Standpunkte zu vertreten, um so Resonanz bzw. Aufmerksamkeit zu erreichen?

Mit dieser und ähnlichen Fragen beschäftige sich bereits Richard Sennett in seinem 1974 veröffentlichten Werk „Verfall und Ende des öffentlichen Lebens. Die Tyrannei der Intimität“. Deshalb soll hier zunächst ein kurzer Einblick in die theoretischen Grundgedanken Sennetts gegeben werden, bevor wir auf die Aussage von Herrn Otto zurückkommen. Wie der Titel des Werks unschwer erahnen lässt, diagnostiziert der Autor den modernen Gesellschaften einen Verfall der öffentlichen Sphäre.

Maßgebend für den Beginn des Verfalls der Öffentlichkeit sei eine sich im 19. Jahrhundert anbahnende, grundlegende Umwälzung der Gesellschaft, bedingt durch Kapitalismus und Säkularisierung.

Als Folge der sich aus diesen Transformationsprozessen ergebenden Unsicherheit begannen die Menschen, „persönlichen Sinn in unpersönlichen Situationen, in Objekten und in den objektiven Bedingungen der Gesellschaft zu suchen“ (Sennett 1986, S. 329). Von dieser Unsicherheit – oder wie Sennett es bezeichnet – von einer „Angst vor der Leere“ erfüllt (es wird Unpersönlichkeit mit Leere gleichgesetzt), nehmen die Menschen die politische Öffentlichkeit nunmehr als einen Raum wahr, „in dem sich die ‚Persönlichkeit als solche‘ Ausdruck“ (ebd. S. 331) zu verschaffen hat. Dadurch entsteht eine Gesellschaft, in der eine „Tyrannei der Intimität“ herrscht. Eine Gesellschaft, in der Menschen glauben, „daß sie ihre Empfindungen voreinander enthüllen müssen, um emotionale Bindung herzustellen“ (ebd. S. 333).

Die politische Öffentlichkeit befindet sich durch diese zunehmende Intimität, verstanden als den Einzug des Privaten in das Öffentliche, im Prozess des Verfalls.

Dieser Verfall manifestiert sich laut Sennett eben auch in der Rolle des Politikers, womit wir zurück bei unserem Ausgangspunkt wären. Die Aussagen eines Herrn Otto scheinen an das zu erinnern, was Sennett in Anlehnung an Max Weber als „unzivilisiertes Charisma“ oder gar „narkotische[s] Charisma“ (ebd. S. 343) bezeichnet hat. Damit ist die Etablierung einer „Persönlichkeitskultur“ gemeint, die sich auf die persönlichen Motive und „Empfindungen der Person“ konzentriert, „statt auf ihr Handeln“ (ebd. S. 341).

„Wenn er [der Politiker] selbst ‚in Ordnung‘ ist, muß auch das, wofür er sich einsetzt, ‚in Ordnung‘ sein. Es käme in der Politik heute einem Selbstmord gleich, zu sagen: ‚Mein Privatleben geht euch nichts an; was ihr kennen müßt, sind meine Überzeugungen und die Programme, die ich durchsetzen werde.‘“ (ebd. S. 343)

Was in dieser Beobachtung aus den 1970er Jahren anklingt, ist die Verlagerung des Fokus weg von Inhalten hin zur Person selbst. Vergleicht man die Aussagen Sennetts in Bezug auf Politik im Allgemein mit denen Ottos in Bezug auf die Relevanz sozialer Medien für die politische Kommunikation, scheinen diese nicht weit voneinander entfernt zu liegen. Vielmehr wirkt es so, als würde der FDP-Politiker Otto die über 40 Jahre alte Diagnose Sennetts im Heute bestätigen. Bemerkenswert ist zudem, dass Sennett bereits in den 1970er Jahren darauf aufmerksam machte, dass den elektronischen Medien (damals hauptsächlich Radio und Fernsehen) eine entscheidende Rolle bei der Hervorhebung des persönlichen Lebens der Politiker*innen zukommt (vgl. ebd. S. 337).

Berücksichtigen wir diese Aspekte, zusammen mit der Etablierung des Internets als öffentlich zugängliche Sphäre in den Nullerjahren sowie der Omnipräsenz sozialer Medien im Gewand der digitalen Plattformdienste des kommerziellen Internets heutzutage, dann ließe sich die Frage nach einem Verfall der politischen Öffentlichkeit erneut und unter nunmehr veränderten Voraussetzungen stellen. Dabei möchte dieser Aufsatz folgender grundlegenden Fragestellung nachgehen:

Ob und wenn ja inwiefern lassen sich Social-Media-Profile von Politiker*innen als Katalysatoren des Einzugs der Intimität in die öffentliche Sphäre verstehen?

2. Forschungsgegenstand – Was ist Grundlage dieser Untersuchung?

Um sich einer Antwort auf diese Frage zu nähern, wurden öffentlich zugängliche Social-Media-Profile deutscher, aber auch internationaler Politiker*innen betrachtet. Dies baut auf die Erkenntnis, dass das Format des Profils als jener Ort zu verstehen ist, an dem das digitale Subjekt versucht, sich performativ eine eigene Persönlichkeit zu schaffen (vgl. Reckwitz 2020, S. 248). Ziel war es daher, zunächst einen Eindruck darüber zu gewinnen, was für Inhalte auf den Profilen auf welche Art und Weise transportiert werden. Diese erste Recherche war von der Frage geleitet, ob sich tatsächlich Beiträge identifizieren lassen, die als persönlich-intimer Kommunikationsakt im Sinne Sennetts gewertet werden können.

Schnell wurde jedoch deutlich, dass zum einen fast allen Politiker*innen solche persönlich-intimen Inhalte bedienen; wenn auch in unterschiedlicher Intensität und Häufigkeit. Zum anderen wurde ersichtlich, dass das Bild als Kommunikationsmedium eine herausragende Rolle innerhalb sozialer Medien einnimmt.

An dieser Stelle sei lediglich auf die Plattform Instagram verwiesen, bei der das Bild per se im Fokus steht. Dies ist aber auch ein Hinweis darauf, wie die uns bekannten Social-Media-Plattformen einer inneren Funktionslogik folgend bereits einen Einfluss darauf nehmen, was für Medien als Vehikel für die Weitergabe bestimmter Inhalte verwendet werden können. 

Reine Textbeiträge waren bei der anfänglichen Recherche dagegen deutlich weniger verbreitet. Diesen Eindruck bestätigt auch Andreas Reckwitz, der in seinem Werk „Die Gesellschaft der Singularitäten“ feststellt, dass Personen zur eigenen Darstellung zunehmend auf visuelle Reize setzten.

„Die allgegenwärtige Kamera transformiert den ganz normalen Alltag in ‚Szenen‘, die um ihrer selbst willen und auch außerhalb ihres Entstehungskontextes betrachtenswert scheinen. Gegenüber dieser omnipräsenten Visualität rücken (schrift-) sprachliche Texte im Internet an die zweite Stelle.“ (Reckwitz 2020, S. 235)

Aus diesem Grund fokussieren wir uns auf Beiträge von Politiker*innen, in denen Bilder eine maßgebende Rolle spielen. Letztendlich wurden folgende drei Postings für die Untersuchung ausgewählt.

Matteo Salvini

  • Partei: Lega (Nord)
  • Ehem. italienischer Innenminister (2018-19)
  • Parteivorsitzender seit 2013

Alice Weidel

  • Partei: Alternative für Deutschland
  • Seit 2017 MdB
  • Stellvertretende Parteivorsitzende seit 2019

Eine Sache sei jedoch noch angemerkt: Diese Auswahl hat nicht den Anspruch, ein repräsentatives Abbild des Spektrums verschiedener visueller Medien auf den Social-Media-Profilen von Politiker*innen zu sein. Gleiches gilt für die Wahl der Parteizugehörigkeit bzw. des politischen Spektrums. Vielmehr gilt es die Fotos mit Hinblick auf unsere Ausgangsfrage als Beispiele dafür zu verstehen, mit was für einer Art von Kommunikation Politiker*innen zunehmend arbeiten. Dass es dabei empirische Ausnahmen und Trends geben kann, steht außer Frage.

3. Präzisierung der Forschungsfrage – Was soll konkret untersucht werden?

Um sich den Fotobeiträgen analytisch zu nähern, wurde unter Berücksichtigung der übergreifenden Fragestellung folgende forschungsleitende Frage entwickelt:

Auf welche Art und Weise schafft es das vorliegende Bild, die Aufmerksamkeit und Sympathie der Betrachter*innen respektive potenziellen Wähler*innen in den sozialen Medien zu erreichen?

Die Frage richtet sich dabei konkret an die einzelnen Bilder und ist somit als „direkte Befragung“ jener Medien zu verstehen.

4. Methodisches Vorgehen – Wie wird bei der Analyse verfahren?

Methodisch greifen wir für diese Untersuchung auf Analysetechniken der sozialwisssenschaftlichen Bildinterpretation zurück, die an kunsthistorische Vorarbeiten von Gottfried Boehm und Max Imdahl anknüpft (vgl. Przyborski und Slunecko 2012, S. 3–5). Konkret dient die Sequenzanalyse als methodisches Verfahren, mit dessen Hilfe sich uns der bildliche Sinn erschließen soll (vgl. Betz und Kirchner 2016).

Dabei wird der natürliche Betrachtungsprozess – ausgehend von stark mit Bedeutung aufgeladenen Elementen hin zu weniger augenscheinlichen Aspekten – dahingehend eingeschränkt, dass einzelne Bildsegmente zunächst verdeckt bleiben und methodisch kontrolliert erst nacheinander aufgedeckt und analysiert werden.

Jedes Segment wird im Laufe dieses Prozesses zuerst unter „weitgehender Verdrängung des historischen, literarischen oder szenischen Bildinhalts“ auf das „Gegenständliche“ (ebd. S. 269) hin untersucht, um anschließend zu überlegen, wie das Dargestellte im Sinne der hermeneutischen Wissenssoziologie gedeutet und damit verstanden werden kann. Dabei werden verschiedenen Bedeutungsdimensionen und Lesarten entwickelt, die im Laufe der Analyse verworfen, verändert oder beibehalten werden können.

Zuletzt schließt sich der für unsere Analyse besonders relevante Schritt des Kontexteinbezugs an. Denn: 

Bei visuellen Medien geht es um die „Sichtbarkeit von Welt“, bei der „bestimmte Aspekte ausgewählt, perspektivisch fokussiert, in der Bildfläche platziert und choreographiert“ (Breckner 2012, S. 147) werden. Es handelt sich also um bewusst ausgewählte (Selbst-) Darstellungen, die gerade im Kontext sozialer Medien als Kommunikationsakte zwischen antizipierter Zielgruppe und darstellender Person zu verstehen sind (vgl. Betz und Kirchner 2016, S. 270).

5. Ergebnisse – Was sagen uns die Bilder?

Kipping

Auf dem Bild sieht man die Politikerin Kipping im Badekostüm gekleidet am Rande einer Menschenmenge stehen. Die Personen um sie herum tragen ebenfalls Badekleidung. Anlass ist das 20. Dresdener Elbschwimmen. 

Zum einen signalisiert das Bild die Nähe der Politikerin zu den Bürger*innen respektive potenziellen Wähler*innen. Kipping ist sich nicht zu fein, mit älteren Männern mit dicken Bäuchen gemeinsam in einer Menge zu stehen, Aufwärmübungen zu machen und anschließend einmal quer durch die Elbe zu schwimmen. Dadurch wird das Bild einer volksnahen Politikerin erzeugt, die auch nach vielen Jahren der aktiven Bundespolitik nicht den Bezug zu den Personen ihres Herkunftsorts verloren hat.

Die Botschaft, die von einem solchen Narrativ der bodenständigen, volksnahen Politikerin ausgeht, ist eindeutig: „Ich bin eine von euch!“.

Abgesehen von dem Aspekt, dass die Politikerin authentisch, nahbar und im besten Fall sympathisch daherkommt, ist hier ein weiterer Punkt von zentraler Bedeutung:

Die Betrachter*innen erhaschen einen recht intimen Einblick in das persönliche Leben der Politikerin. Eine Person, die man üblicherweise mit Plenarsitzungen und Oppositionspolitik aus dem politischen Berlin assoziieren würden, präsentiert sich einem nun im dunkelblauen Badekostüm nebst dickbäuchigen Männern. Auch das hat zufolge, dass der Mensch Kipping sichtbar wird. In der Folge wird Distanz zwischen Follower und der Politikerin abgebaut. Bestenfalls entsteht ein Gefühl der Verbundenheit, so denn die Situation als positiv nachempfunden werden kann.

Zusammengenommen scheinen diese beiden Aspekte, also das Bild der volksnahen Kipping in Kombination mit dem persönlichen Einblick in das Leben hinter die Fassaden der Politikerin, jene Mechanismen zu sein, mit deren Hilfe die Aufmerksamkeit und Sympathie der Betrachter*innen gewonnen wird.

Salvini

Das Foto zeigt einen Spitzenpolitiker Italiens in einer recht intimen Situation, nämlich wie er, oberkörperfrei und auf dem Boden knieend, mit seinen Kindern spielt. Damit wird Salvini als fürsorglicher Vater und Familienmensch dargestellt. Auf diese Weise wird der Politiker nahbar und erlebbar gemacht, es wird deutlich, dass es sich bei ihm um eine „ganz normale Person“ handelt.

So wird der Politiker zur Identifikationsfigur, der betrachtenden Person fällt es leicht, die Situation und die Freude des Vaters – „die schönsten Stunden [des Tages]“ – nachzuempfinden. Es wird Distanz zwischen Politiker und Follower abgebaut.

Auch dürfte das Szenario mit Strand, Meer und Sonne vielen Italiener*innen bekannt vorkommen. Das Foto unterstreicht damit die Verbundenheit Salvinis mit der Natur seines Herkunftslands. Ob das Foto tatsächlich Mitte August aufgenommen wurde, ist unklar. Klar ist jedoch, dass der Beitrag just in einer Zeit veröffentlicht wurde, in der sich traditionell halb Italien an den Stränden und Ufern des Landes tummelt. Die Botschaft ist eindeutig: „Ich bin einer von euch!“

Diese affizierende, bestimmte Emotionen und Sympathien weckende Dimension scheint ein zentraler Aspekt zu sein, mit dem das Bild die Aufmerksamkeit des Online-Publikums erreicht. Zum anderen gilt es schlicht das persönlich-intime Setting des Fotos als weitere Strategie zu benennen, mit der die Aufmerksamkeit der Follower gewonnen wird. Verknüpft man diese Erkenntnisse mit dem Wissen um die Betreuung von Salvinis Social-Media-Kanälen durch ein Team hochprofessioneller Kommunikationsberater (vgl. Meiler 2019), erscheint ein solches Bild nicht als authentische Anekdote aus dem persönlichen Leben eines Politikers, sondern als sehr bewusst gesetzter Kommunikationsakt.

Weidel

Das Bild zeigt die mit Wanderrucksack ausgerüstete Weidel am Rande eines Abhangs stehen, im Hintergrund zeichnet sich die felsige Kontur eines Bergs an. Sie scheint sich auf einem Wanderausflug zu befinden. Dieses Motiv birgt zweierlei Momente, die für unsere Analyse interessant sind:

Zum einen wird damit eine Naturverbundenheit der Politikerin suggeriert. Der Wandersport könnte zudem als Ausdruck einer gewissen Bodenständigkeit verstanden werden. Diese Aspekte können dahingehend Aufmerksamkeit und Sympathie erzeugen, als dass sich eine Person mit dieser Art der Freizeitbetätigung bzw. des Sports identifiziert oder die Nähe zur Natur ebenso sehr schätzt, wie die Politikerin auf dem Bild es scheinbar tut.

Zum anderen birgt das Bild in Kombination mit dem beigefügten Text ein starkes symbolisches Moment: Die Politikerin als ausdauernde Kämpferin, die den Berg bereits zu Teilen bezwungen hat (erste Wahlerfolge der AfD auf Landesebene) und sich weiter auf dem Aufstieg befindet (anstehende Bundestagswahl).

Auch ist zu beachten, das Weidel auf dem Foto in einer persönlichen Situation gezeigt wird, nämlich wie sie ihre Freizeit verbringt. Dies ist als Einblick in die Welt des Menschen Weidel jenseits ihrer Identität als Politikerin zu verstehen. Damit kommt die betrachtende Person der Politikerin dahingehend näher, als dass sie diese nicht nur mit politisch-inhaltlichen Aspekten assoziiert, sondern eben auch mit persönlichen. 

Die so abgebaute Distanz zwischen Follower und sich darstellender Person führt in Kombination mit dem Symbolcharakter des Motivs sowie der Darstellung der Politikerin als naturverbundene Wanderin dazu, dass Aufmerksamkeit und Sympathie in den sozialen Medien gewonnen wird.

6. Finale Betrachtung – Wie deuten wir die Ergebnisse?

Vergleichen wir nun die Ergebnisse der drei Bildanalysen miteinander, wird folgendes deutlich: Die Fotos mögen sich zwar im bildlich inszenierten Motiv unterscheiden, der grundlegende Mechanismus, mit dem sie auf die betrachtende Person wirken, ist jedoch der gleiche.

Durch die Auswahl eines Bildes, welches die jeweilige Person in einem persönlich-intimen Kontext zeigt, wird Distanz zwischen ihr und Follower respektive Wähler*in abgebaut. Dies geschieht, indem eben jene persönliche Seite der Politiker*innen erkennbar wird, auf die etwa Herr Otto in unserem Ausgangszitat verwiesen hat. Die Politiker*innen werden als authentisch wahrgenommen, man verknüpft positive Emotionen und Sympathien mit ihrer Person.

Bei den von uns analysierten Fotobeiträgen kommt es also tatsächlich zu einer Verschiebung; weg von den konkreten politischen Inhalten, für die bestimmte Politiker*innen stehen, hin zur Person selbst. Es beginnt jenes „narkotische Charisma“ zu wirken, dass für die Etablierung des von Sennett als „Persönlichkeitskultur“ beschriebenen Fokus auf das Privatleben der Politiker*innen bestimmend ist. 

Zusammenfassend und mit Rückbezug auf unsere Fragestellung stellen wir also fest: Das persönlich-intime Setting der visuellen Medien ist als die zentrale Strategie zu benennen, mit der die Politiker*innen versuchen, die Aufmerksam des Online-Publikums zu erreichen. Interessant und reizvoll erscheint nunmehr der Mensch, politische Inhalte rücken dagegen in den Hintergrund. 

Betrachten wir dieses Ergebnis nun im Lichte unserer übergreifenden Fragestellung, inwiefern sich Social-Media-Profile als Katalysatoren des Einzugs der Intimität in die politische Öffentlichkeit begreifen lassen.

Um darauf eine Antwort zu finden, legen wir unser Augenmerk nun auf jenen Raum, in dem die Politiker*innen ihre Inhalte veröffentlichen – das Internet mit seinen Social-Media-Plattformen. Dafür bietet es sich zunächst an, unsere bereits beantwortete Frage nach der Art und Weise der Aufmerksamkeitsgenerierung von den Füßen auf den Kopf zu stellen:

Für welches Problem stellt der von uns untersuchte Handlungsprozess – persönlich-intimer Kommunikationsakt vermittels des Mediums Bild – eine Lösung dar (vgl. Betz und Kirchner 2016, S. 271)? Die Antwort liegt auf der Hand: Es soll Aufmerksamkeit erweckt werden. (Aufmerksamkeit in den sozialen Medien zu generieren ist jedoch kein Selbstzweck. Politiker*innen erhoffen konkret sich Unterstützung durch Wähler*innen zu sichern und Zustimmung zu eigenen Positionen zu finden, um somit im Kampf um demokratische Legitimation zu bestehen (vgl. Emmer 2017, S. 87)). 

Doch genau an dieser Stelle lohnt eine genauere Betrachtung. Denn Aufmerksamkeit stellt in der digitalen Sphäre ein knappes Gut dar.

Dies liegt an den geringen Zugangs- und Kostenhürden auf den für die politische Kommunikation relevanten Plattformdiensten des kommerziellen Internets. Dies führt dazu, dass sich in dem Newsfeed eines Facebook- oder Twitter-Users nicht nur politische, sondern auch journalistische, unterhaltende und anekdotische Inhalte wiederfinden (vgl. Emmer 2017, S. 88–89; Hidalgo 2020, S. 99).

„Selbst ein sachgerechter Einsatz von Social-Media-Technologien garantiert deshalb noch keinen Kommunikationserfolg“ (Emmer 2017, S. 88). In anderen Worten: Es herrscht ein verschärfter Kampf um Aufmerksamkeit, dem sich auch Politiker*innen in ihrem Online-Auftritt nicht entziehen können.

Dieser Kampf um Aufmerksamkeit könnte auch als Konkurrenz um die Gunst des Publikums übersetzt werden (vgl. Hidalgo 2020, S. 99). Dabei schlüpfen die Politiker*innen in die Rolle der Darstellenden, die Follower nehmen die Position des Publikums ein.

Theoretisch treffend beschrieben hat dies Andreas Reckwitz, auf dessen Theorie bereits verwiesen wurde. Für uns ist seine Theorie deshalb so fruchtbar, da er theoretisch aufarbeitet, was andere empirisch bereits festgestellt haben: Um sich auf den „Aufmerksamkeitsmärkten“ (Reckwitz 2020, S. 149) der digitalen Plattformdienste zu behaupten, stellen sich Politiker*innen auf ihren Profilen als besondere, authentische, nichtaustauschbare Persönlichkeiten dar. Es gilt als singuläre, Politik betreibende Person wahrgenommen zu werden. An dieser Stelle seien zwei Aspekte hervorgehoben. Zum einen betont Reckwitz die von uns bereits thematisierte, besondere Relevanz von visuellen Medien:

„Als bevorzugte Form, in der sich das Profil-Subjekt permanent als einzigartiges fabriziert, kristallisiert sich das visuell dargestellte Erleben heraus. In der Chronik des Selbst schieben sich die Fotos und die Filme in den Vordergrund, deren visueller Realismus eine Unmittelbarkeit des Geschehens suggeriert.“ (ebd. S. 250) 

Die logische Konsequenz dieser visuellen Hegemonie ist die Verdrängung der tendenziell affektärmeren Textinformationen in den Hintergrund des Profils.

Zum anderen stellt sich die Frage, wie die Politiker*innen sich am besten als authentische, nichtaustauschbare Subjekte darstellen können. Reckwitz‘ Antwort darauf lautet wieder: Das Foto.

„Authentisch scheint das Subjekt, wenn es nicht nur inszeniert, sondern sich auch als Selbst in einer Situation als ‚erfüllt‘ empfindet. Aber wie lässt sich dieser opake und flüchtige psychophysische Prozess des Erlebens für Andere sichtbar machen? Die digitalen Fotos suggerieren, ersatzweise dieses Erleben des Selbst nachvollziehbar zu machen.“ (ebd. S. 250)

Eben jene hier beschriebenen Elemente der Teilhaben am Erleben, des Nachempfinden der Situation des Darstellenden durch das Publikum, finden wir in den Analysen der von uns untersuchten Fotos der Politiker*innen Salvini, Kipping und Weidel wieder.

Wenn wir nun zurück zu unserer übergreifenden Fragestellung kommen, stellen sich die persönlich-intimen Inhalte auf den Social-Media-Kanälen von Politiker*innen (Einzug der Intimität in die politische Öffentlichkeit) wie folgt dar:

Das Veröffentlichen von persönlich-intimen Inhalten geschieht in einem digitalen Kontext, in dessen Zentrum die durch Konkurrenz gekennzeichneten Aufmerksamkeitsmärkte der uns bekannten Social-Media-Plattformen stehen. Um in diesen zu bestehen, versuchen sich Politiker*innen als singuläre Subjekte auf ihren Profilen dazustellen. Häufig dienen dabei digitale Fotos als Medien, mit deren Hilfe versucht wird, sich als authentische, charismatische Persönlichkeiten zu inszenieren.

Das Veröffentlichen von persönlich-intimen Inhalten kann also nebst weiteren Verfahren (beispielsweise der bewussten Auswahl eines bestimmten Mediums, in unserem Fall der des Bilds) als Technik verstanden, um als authentisch, einzigartig und nicht austauschbar angesehen zu werden.

Insofern lassen sich Social-Media-Profile dahingehend als Katalysatoren des Einzugs der Intimität in die politische Öffentlichkeit verstehen, als dass die innerhalb der auf Konkurrenz basierenden Plattformen operierenden „Subjekt-Profile“ darauf angewiesen sind, sich auf irgendeine Weise als besonders darzustellen, um so Aufmerksamkeit zu erreichen. Das Veröffentlichen persönlich-intimer Inhalte scheint dabei ein probates und durchaus verbreitetes Mittel zu sein. Aus diesem Grund ließe sich meines Erachtens durchaus behaupten, das digitale Profil verstärke den Einzug des Intimen in die politische Öffentlichkeit. Weniger jedoch aus einer gar bösartig intendierten Absicht heraus, um etwa das Onlinepublikum respektive Wahlvolk von „lästigen, entzweienden Fragen der Ideologie“ (Sennett 1986, S. 342) fernzuhalten, wie es Sennett darstellte. Vielmehr handeln die Politiker*innen den Zwängen einer inneren Funktionslogik der Aufmerksamkeitsmärkte in den digitalen Social-Media-Plattformen folgend.


Literaturverzeichnis

Betz, Gregor J.; Kirchner, Babette (2016): Sequenzanalytische Bildhermeneutik. In: Nicole Burzan, Ronald Hitzler und Heiko Kirschner (Hg.): Materiale Analysen. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden, S. 263–288.

Breckner, Roswitha (2012): Bildwahrnehmung – Bildinterpretation. In: Österreich Z Soziol 37 (2), S. 143–164. DOI: 10.1007/s11614-012-0026-6.

Emmer, Martin (2017): Soziale Medien in der politischen Kommunikation. In: Jan-Hinrik Schmidt und Monika Taddicken (Hg.): Handbuch Soziale Medien, Bd. 25. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden, S. 81–99.

Hidalgo, Oliver (2020): Digitalisierung, Internet und Demokratie – Theoretische und politische Verarbeitungen eines ambivalenten Feldes. In: Neue Polit. Lit. 65 (1), S. 77–106. DOI: 10.1007/s42520-019-00201-5.

Meiler, Oliver (2019): Der Mann, der Salvini ins Gespräch bringt. Online verfügbar unter https://www.sueddeutsche.de/politik/salvini-lega-nord-social-media-1.4498407, zuletzt aktualisiert am 24.08.2020., zuletzt geprüft am 24.08.2020.

Otto, Hans-Joachim (2015): Politische Meinungsbildung und Kommunikation von Abgeordneten über soziale Medien. In: Mike Friedrichsen und Roland A. Kohn (Hg.): Digitale Politikvermittlung. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden, S. 305–309.

Przyborski, Aglaja; Slunecko, Thomas (2012): Linie und Erkennen: Die Linie als Instrument sozialwissenschaftlicher Bildinterpretation. In: Journal für Psychologie 20 (3).

Reckwitz, Andreas (2020): Die Gesellschaft der Singularitäten. Zum Strukturwandel der Moderne. Wissenschaftliche Sonderausgabe, Zweite Auflage. Berlin: Suhrkamp.

Sennett, Richard (1986): Verfall und Ende des öffentlichen Lebens. Die Tyrannei der Intimität. Frankfurt am Main: Fischer-Taschenbuch-Verl. (Fischer, 7353).